Bastien Toma: Der kluge Junge

28.05.2019 00:00

Bastien Toma: Der kluge Junge

Bastien Toma ist erst 19, aber einer der Aufsteiger der Saison. Der Mittelfeldspieler des FC Sion hat kosovarische Wurzeln, aber schon Einsätze in Schweizer Nachwuchsauswahlen hinter sich – und würde ein Aufgebot von Vladimir Petkovic nicht ablehnen.

Sollte Bastien Toma noch nicht in Besitz eines elektronischen Bewerbungsdossiers sein, aber eines zusammenstellen wollen, dürfen ein paar Links ganz bestimmt nicht fehlen. Zum Beispiel jener, der zeigt, dass er prächtige Tore schiessen kann. Oder wie er auf spektakuläre Weise einen Treffer vorbereitet. Am 25. November 2018 bekommt Toma den Ball, zum gegnerischen Tor sind es gut 25 Meter. Er schaut auf und sieht den Abschluss als beste Lösung für diesen Moment. Es wird ein Schuss, der in jedem Saisonrückblick Platz haben muss – der FC Sion bezwingt den FC Thun 2:1. Toma selbst sagt: «Als Walliser war das Toreschiessen im Tourbillon einer meiner Kindheitsträume.»

Am 7. Oktober 2018 findet auf der Neuenburger Maladière ein Spiel statt, das 1:1 endet und nicht gerade den grossen Genuss bietet. Bis auf eine Ausnahme: Nach 29 Minuten überlistet Toma sämtliche Gegner mit einem perfekt getimten, hochpräzisen Steilpass auf Ermir Lenjani, der zur Führung für die Gäste trifft. Die Videosequenz geht weit über die Landesgrenzen hinaus. Mehr als 60'000 Menschen sollen sie bis am anderen Morgen gesehen haben. Toma ist stolz, als er erfährt, dass darunter auch Prominente sind wie Mats Hummels, Verteidiger von Bayern München.

Mit viel Potenzial

Bastien Toma. 19 ist er, erst 19. Aber begehrt, weil er über bemerkenswertes Talent verfügt. Christian Constantin sagt über ihn: «Er ist einer der Spieler, die das Potenzial  besitzen, um eine schöne Karriere zu machen.» Und: «Ich traue ihm zu, dass er den Sprung ins Ausland schafft und wir für ihn eine entsprechende Ablösesumme erhalten.» Constantin ist der Präsident des FC Sion, der mit Spielerverkäufen schon ganz ordentlich verdient hat. Gelson Fernandes, Edimilson Fernandes, Cunha, Chadrac Akolo, Giovanni Sio – es sind nur einige, für die ausländische Clubs hohe Millionenbeträge ausgaben.

Und nun scheint sich Toma ebenfalls zu einem Spieler zu entwickeln, für den Constantin einen stattlichen Preis verlangen könnte. «Er hat Züge von Andrea Pirlo», sagt der Clubchef, und ihn erinnert Toma manchmal auch an den jungen Köbi Kuhn, der einst beim FC Zürich Regie führte. Er sagt auch: «Bastien hat klare Vorstellungen, er weiss, dass er arbeiten muss, um ans Ziel zu gelangen. Er ist ein kluger Junge, er packt das.»

Kosovarische Wurzeln

Tomas Eltern stammen aus dem Kosovo, aber er wuchs im Wallis auf. Er kickte zuerst beim FC Vétroz, dem Club seiner Wohngemeinde im Westen von Sitten. Mit seinem Talent fiel er auf, sein Wechsel zu den Junioren des FC Sion war ein logischer nächster Schritt. Cédric Strahm, damals beim Super-League-Verein einer der Ausbildner, erinnert sich an einen Jungen mit «einer sehr guten Mentalität»: «Seine Ballkontrolle und Ballsicherheit sowie seine Fähigkeit, das Spiel zu lenken, zeichneten ihn aus.» Toma offenbarte auch nie Zweifel, und selbst vor wesentlich kräftigeren Gegenspielern zeigte er nie Scheu. Dank seiner Furchtlosigkeit und den technisch-taktischen Fähigkeiten wurde Toma fortan stets eine Altersstufe höher eingesetzt. Bei den Gleichaltrigen wäre er womöglich unterfordert gewesen.

Durch die Schweizer Auswahlen

Toma debütierte in der Schweizer U17, er bekam danach Aufgebote für die U18, die U19 sowie die U21. Er schaffte es auf die Liste der Footuro-Spieler des SFV, auf der nur jene Toptalente in der Schweiz landen, denen die technischen Verantwortlichen den Weg bis ins A-Nationalteam zutrauen. 2016 unterschrieb Toma beim FC Sion seinen ersten Profivertrag, für eine kosovarische TV-Station war das Anlass genug, um ins Wallis zu reisen und mit Toma ein Interview zu führen. Sie sahen in ihm einen potenziellen Nationalspieler des Kosovo.

Als die erste Mannschaft des FC Sion Anfang 2017 ins Trainingslager nach Spanien reiste, durfte Toma quasi eine Schnupperwoche erleben. Bei Peter Zeidler, dem damaligen Coach, hinterliess er einen guten Eindruck: «Er erinnert mich mit seiner Art an Joshua Kimmich von Bayern München.» Am 4. November 2017 gab der Mittelfeldspieler seinen Einstand in der Super League beim 1:1 gegen den FC Zürich.

Auf der Geschäftsstelle

Es war aber nicht so, dass Toma das Risiko eingegangen wäre, in ganz jungen Jahren schon ganz auf den Fussball zu setzen. Er absolvierte eine kaufmännische Ausbildung, den letzten Abschnitt davon auf der Geschäftsstelle des FC Sion. Seit dem Abschluss im vergangenen Sommer ist er Profi und verdiente sich mit konstant guten Leistungen im ersten halben Jahr die Auszeichnung «Walliser Nachwuchssportler des Jahres». Und sein Treffer im November gegen den FC Thun wurde zum Tor des Monats der Super League gekürt.

Die Sittener erlebten indes in diesem Frühjahr – wieder einmal – eine ziemlich turbulente Meisterschaftsphase. Murat Yakin ist nicht mehr Trainer, der Präsident hat ihn «in die Ferien geschickt ». So lautet die offizielle Formulierung, aber ob er jemals wieder in sein Amt zurückkehrt, darf stark bezweifelt werden. Toma aber verteidigte stets seinen Stammplatz, und offensichtlich hat er seine Unbeschwertheit aus der Jugend bewahren können. «Ich bin jemand, der sehr offen ist, aber auch sehr ruhig», sagt er, «ich rege mich nicht so schnell auf.» Und er ist ein Spieler, der einen Faktor nie vernachlässigen will: den Spass. Toma, der den Kroaten Luka Modric als sein grosses Vorbild nennt, will nicht zu viel studieren, sondern sich von seiner Intuition leiten lassen.

Kein Wechsel in der Jugend

Bis 2020 ist er vertraglich an seinen Verein gebunden. Unter Trainer Murat Yakin fand er seinen Platz im rechten Mittelfeld; Constantin findet aber, Toma sei im Zentrum besser aufgehoben, weil er dort mehr Einfluss auf das Spiel nehmen könne. Der Spieler selbst weiss, dass er sich laufend steigern muss, wenn er seinen Traum von einem Auslandtransfer verwirklichen will. Derzeit mag er sich mit dem Thema aber nicht auseinandersetzen. Er verweist darauf, dass er vertraglich an Sion gebunden ist, und erzählt, dass er mit 15 schon der Verlockung widerstand, Sion zu verlassen. Damals gab es Offerten aus Deutschland, aber Toma entschied sich, bei Sion zu bleiben. Weil er bei seinem Club die Perspektive sah, den Aufstieg zu den Profis zu schaffen.

Ausserdem hat er ein Ziel mit dem FC Sion noch nicht erreicht: einen Titel im Schweizer Cup. Als die Walliser 2015 in Basel den FCB im Final 3:0 bezwangen, war er noch als Fan im Stadion und beeindruckt von den Emotionen, dem gewaltigen Support des Anhangs. Das möchte er nun selber als Spieler einmal erleben, bevor er sich verabschiedet. Bleibt noch die Frage, für wen er eines Tages Nationalspieler sein möchte: für die Schweiz oder den Kosovo? Lange überlegen muss Toma nicht. Natürlich hat er eine enge Verbindung zum Kosovo, aber sagt doch: «Wenn ich die Möglichkeit bekäme, würde ich für die Schweiz spielen.»

(Rotweiss/pmb)