Kattalin Stahl: München – Genf – Bern

14.10.2018 00:00

Kattalin Stahl: München – Genf – Bern

Die 17-jährige Innenverteidigerin Kattalin Stahl ist in Deutschland geboren, wuchs in Genf auf und spielt seit diesem Sommer im NLA-Team des BSC Young Boys. Sie war die grosse Entdeckung an der U-19-EM-Endrunde im Sommer 2018 in der Schweiz und ist nun auch im Projekt «Footura» des SFV integriert.

Kattalin Stahl hat eine besondere Geschichte. Geboren wurde sie im Jahr 2001 in München, als Tochter eines deutschen Vaters und einer amerikanischen Mutter. Mit sechs Jahren kam sie nach Genf, weil «der Vater näher an den Bergen» leben wollte, wie sie erzählt. Der Anfang in der neuen Stadt war nicht ganz einfach, «ich habe kein Wort französisch gesprochen». Doch mit der Einschulung wurde das sehr rasch nachgearbeitet.

Bald schon kam der Fussball dazu, beim FC Saint-Paul löste sie mit neun Jahren ihre erste Lizenz, später wechselte sie zum FC Champel und hatte ab 2016 eine Doppellizenz beim FC Meyrin. Bis zur U-15 spielte sie vornehmlich mit Jungs, danach suchte sie eine Herausforderung im Frauenfussball und fand sie beim BSC Young Boys. Das war im letzten Sommer. Sie begann bei den U-17-Frauen von YB, schon im Winter folgte der Aufstieg in die U-19 ins Team YB/Wyler, mit dem sie gegen die besten Nachwuchsteams der Schweiz antreten konnte. «Die Entwicklung verlief sehr schnell», findet sie nun, da sie seit diesem Sommer ins NLA-Kader der Bernerinnen integriert worden ist.

Pendeln von Genf nach Bern

Stahl wohnt auch nach ihrem Wechsel in die Bundeshauptstadt weiterhin in Choulex, unweit der französischen Landesgrenze. Sie trainiert unter der Woche mit der männlichen U-16-Mannschaft von Etoile Carouge und reist jeweils am Freitag zum Abschlusstraining der YB-Frauen nach Bern und bestreitet am Wochenende das jeweilige Meisterschaftsspiel. «Manchmal schaffe ich es auch ins Mittwochstraining.» Ein Problem sieht sie in der Pendlerei nicht, sie nimmt diesen zusätzlichen Aufwand gerne auf sich, auch wenn es in Genf mit dem Team «Servette FC Chênois Féminin» seit dieser Saison ebenfalls ein NLA-Team geben würde. «Ich bleibe YB treu», sagt sie im Brustton der Überzeugung.

In der NLA hat sie sich rasch einen Stammplatz in der Innenverteidigung erobert. Das dies gelungen ist, hat viel mit ihren starken Leistungen im Rahmen der U-19-Frauen-Europameisterschafts-Endrunde im Sommer in der Schweiz zu tun. Auch in den Auswahlen verlief die Entwicklung rasant. Noch im Frühjahr spielte sie für die U-17 in Norwegen die Elite-Runde der Qualifikation. Nach den Niederlagen gegen die Gastgeberinnen, England und Slowenien, «dachte ich mir, dass es nun vorbei ist und ich warten muss, bis ich in die U-19 komme». Doch dann ging alles viel schneller als erwartet. Von ihrem Clubtrainer erfuhr sie, dass sie für einen U-19-Zusammenzug auf der Rigi, verbunden mit einem Testspiel gegen die U-15 des FC Wohlen, aufgeboten sei. Und als sie dann auch für die unmittelbare EURO-Vorbereitung in Weggis berücksichtigt wurde, rückte das Unwahrscheinliche noch ein Stück näher.

Überraschendes Aufgebot

«Für mich war das komplett überraschend. Noch überraschender war dann aber, dass ich an der EURO spielen konnte», sagt Kattalin Stahl nun mit einigen Wochen Abstand. Ihre Leistungen in den Trainings überzeugten Nationaltrainerin Nora Häuptle offensichtlich so sehr, dass sie die Westschweizerin nicht nur ins definitive Aufgebot fürs Turnier aufnahm, sondern sie an der Seite von Malin Gut auch die Stamm-Innenverteidigung bilden liess. Gemeinsam mit ihrer Clubkollegin Chiara Messerli war sie die einzige Spielerin des Jahrganges 2001 im Schweizer Aufgebot.

Die Tage während der EURO hat sie in vollen Zügen genossen. «Die Stim-mung war grandios, wir erlebten eine tolle Unterstützung. Und wir haben uns auch sportlich sehr gut geschlagen.» Ihr persönliches Highlight war das Spiel gegen Frankreich, als die Schweizerinnen nach einem 0:2-Rückstand noch den Ausgleich zum 2:2 schafften. «Das zeigte, zu was wir fähig sind.» Nach dem letzten Spieltag, als die theoretische Chance, sich doch noch für den Halbfinal zu qualifizieren, nach dem 2:1-Sieg der Spanierinnen gegen Frankreich dahin war, sei sie im ersten Moment «sehr enttäuscht» gewesen. Doch mit etwas Abstand kam dann die Erkenntnis, dass «wir eine starke Leistung gezeigt haben und gegen gute Gegnerinnen ausgeschieden sind».

Durch die frühe Integration in die U-19 ist der Übergang in diese Auswahl nun schon vorgezogen. Die nächste Herausforderung für die Auswahl ist der nächste Qualifikationszyklus für die EM 2019 in Schottland. In der ersten Phase wird die Schweiz Anfang Oktober in der Türkei neben den Gastgeberinnen auf Zypern und Aserbaidschan treffen. «Wir wollen uns natürlich für die nächste Runde qualifizieren», benennt Kattalin Stahl das unmittelbare Ziel mit der Auswahl.

Erfahrungsverlust bei YB

Auf Clubebene gilt es für sie, «mich möglichst schnell in der NLA durchzusetzen und regelmässig zu spielen». Den ersten Schritt dazu hat sie in der Startphase der Meisterschaft bereits getan. YB hat diesen Sommer einen markanten Umbruch erlebt, die Nationalspielerinnen Alisha Lehmann, Francesca Calo, Marilena Widmer, Nicole Studer, Jennifer Oehrli und Camille Surdez haben den Verein Richtung Ausland verlassen, dazu auch Kim Dubs, die in den USA studieren wird. «Wir sind noch immer ein Team mit viel Potenzial, aber mit sehr wenig Erfahrung. Ich glaube aber an eine positive Entwicklung», sagt Kattalin Stahl, die als neue Innenverteidigerin trotz ihres jugendlichen Alters versuchen will, «auf und neben dem Platz Verantwortung zu übernehmen.»

Seit diesem Sommer ist sie auch im Footura-Projekt des Schweizerischen Fussballverbandes integriert. Hier werden den grössten Talenten zusätzliche Module zur Unterstützung angeboten. Mitte September weilte Kattalin Stahl deshalb in Magglingen, um die ersten Leistungsmessungen im Rahmen dieses Programms abzulegen. Die nächsten Monate will sie nutzen, um ihre physischen Fortschritte weiterzuführen, «vor allem in den Bereichen Schnelligkeit und Explosivität». Sie glaubt aber auch, im mentalen und technischen Bereich in den letzten Monaten Fortschritte erzielt zu haben. «Der Wechsel zu YB war in dieser Hinsicht sehr wichtig.»

Nach einem Zwischenspiel auf der Position der Nummer 6 spielt sie seit drei Jahren wie zu Beginn ihrer Laufbahn wieder in der Innenverteidigung. An der Position mag sie den Umstand, «dass man aus dem Zentrum das ganze Spiel vor sich hat, öfter am Ball ist, alles sieht und besser reagieren und verschiedene Lösungen erkennen kann».

(ds)